Geist wird Mensch auf Erden – die Biologie und Psychologie des vorgeburtlichen Lebensraumes

Dr. med. Sabine Schwemmle

Fachärztin für Humangenetik, fachgebundene Psychotherapie, Bindungsanalyse,
Pränatalpsychologie, Anthroposophische Medizin (GAÄD)

Vortrag an der Psychotherapietagung der DtGAP, Mai 2015

Die „Ungeborenheit des Menschen“ und ihre geisteswissenschaftliche Bedeutung wurden von Rudolf Steiner in den letzten Lebensjahren mehrfach thematisiert. Dieser lebensbiographische Aspekt findet jedoch in der anthroposophisch fundierten, psychologisch-psychotherapeutischen und psychiatrischen Arbeit bisher noch wenig Beachtung.

Die Schulmedizin ging vor einigen Jahrzehnten noch davon aus, dass das Kind die Schwangerschaft und Geburt emotional nicht wirklich erleben kann. Kinder wurden daher vor der Geburt als gefühlloses Reflexwesen gesehen. Ein grundlegender Wandel der Sichtweise vollzog sich erst mit neuen medizinischen Techniken und pränatal-psychologischem Wissen, welches die reale Dimension der vorgeburtlichen Entwicklungswelt des ungeborenen Menschen in unser Bewusstsein rückte.
Inzwischen sind durch die aktuelle epigenetische Forschung bereits erste Mechanismen erkannt, mit denen sich frühkindliche und vorgeburtliche Erfahrung – die physiologische, aber auch psychosoziale Umwelt des Kindes– im Erbgut direkt einprägt. Der sogenannte 2. Genetische Code kann somit auch die weitere Entwicklung des erwachsenen Menschen, seine Persönlichkeit, das Verhalten aber auch die seelisch- organische Krankheitsprädisposition beeinflussen.

Im Vortrag werden die Themenbereiche der Pränatalpsychologie und epigenetischer, biologischer Bezüge kurz eingeführt. Vorgeburtliche seelisch Belastungen des Kindes sollen dann beispielhaft im Kontext von Abtreibungsbedrohung weiter verdeutlicht werden.
Eine Zusammenfassung publizierter, psychoanalytischer Befunde zeigt die weitreichenden lebensgeschichtlichen Auswirkungen dieser frühen Lebensbedrohung. Konkrete Falldarstellungen der Erwachsenenpsychiatrie und stationärer, psychotherapeutischer Arbeit werden vorgestellt.
Auch der Organbezug psychiatrischer Erkrankung, auf den Rudolf Steiner wiederholt aufmerksam macht, ist im Zusammenhang mit der aufgezeigten vorgeburtlichen Prägung des Menschen neu zu diskutieren. Texte und Auslegungen Rudolf Steiners werden hierzu vorgetragen.